Die historische Quelle des Spirituellen liegt im archaisch-animistischen Denken. Sie ist in weit vorchristlicher Zeit zu finden. Mit ihm verknüpfen wir eine Denkart von der Beseeltheit aller Weltendinge und dem Versuch der Weltenerklärung, dass außermenschliche Mächte die Geschichte von Mensch, Natur (und Technik) beherrschen. In allem steckt menschliches Bemühen, diese Mächte durch Opfer und rituelle Tänze gütig zu stimmen.
Mit zunehmender Technikentwicklung wuchs die Macht des Menschen über sich und die Natur. In alttestamentarischer Absicht machte er seine Lebenswelt „Untertan“, sie nach seinen Bedürfnissen beherrschen und allseitig kontrollieren zu wollen. Die Technikentwicklung ist in allem der Hauptantrieb menschlichen Fortschritts. Diese Entwicklung hob zu keiner Zeit menschlicher Gesellschaftsgeschichte das spirituelle Denken auf, auch wenn es sich über die Zeiten wandelte.
Die Erfindung des Digitalen, ein riesengroßer Schritt im Wandel vom Analogen ins Digitale, war ein gewaltiger Qualitätssprung in der Technikentwicklung, der einer Herstellung von Werkzeugen durch Werkzeuge vor ca. 100.000 Jahren gleichkäme.
Wie ist das zu verstehen? Während das Analoge sich auf alles Gegenständlicheund Stoffliche begründet, verflüchtigt sich das Digitale in Signalgebungen, die mit „0“ und „1“ abgebildet werden. Wie werden aus unzähligen Nullen und Einsen Grafiken, Bilder oder Gemälde? Dem normalen Nutzer digitaler Endgeräte entziehen sich vertiefende Erklärungen und Beschreibungen. Für das alltägliche, digitale Leben sind das Funktionieren und Nutzen von PC, Laptop, Smartphone und Co. entscheidend und weniger das Wissen über Algorithmen oder das Generieren von Daten in einer Super-KI. Es bleibt in allem ein technisches Geheimnis, das außerhalb menschlicher Erkenntnis und Wahrnehmung des Nutzers liegt.
Kryptowährungen liegen im Gegensatz zu Geldscheinen und Münzen außerhalb von Gegenständlichkeit und plausibler Nachvollziehbarkeit. Fehlendes Geld im Portemonnaie generiert bei vielen Menschen, gerade in Deutschland, physischen und emotionalen Kontrollverlust. Es ist bis heute nicht des Menschen Mentalität, die Herrschaft über sich und die Lebenswelt zu verlieren. Doch das Digitale avanciert sich hier zu einer unbeherrschbaren, undurchsichtigen Zumutung.
Menschen nutzen mit leichtgläubiger Selbstverständlichkeit die digitale Welt mit ihren Endgeräten. Doch was passiert, was im Hintergrund geschieht, wie mit Informationen im digitalen Netz umgegangen wird und sich menschlich als ein „Buch mit sieben Siegeln“ offenbart? Der persönliche Nutzen steht beim Einzelnen oft höher im Kurs als jene von ihm bereitgestellten Daten, aus denen sich eine Super-KI entwickeln lässt. Zu der alten von Gott beherrschenden Welt gesellt sich nun ein zweiter, ein digitaler hinzu, der Macht real generieren, die menschliche Welt für sich vereinnahmen kann.
Es geht mit fehlender Lebenskontrolle, Machtlosigkeit, aber auch mit Unsicherheiten und verzerrten Lebensbildern einher. – Und das alles in dem Glauben, mit dem Digitalen die Lebenswelt besser beherrschen und kontrollieren zu können. Dieses menschliche Ansinnen scheint das größte, von ihm selbst geschaffene Trugbild seiner Geschichte zu sein.
Die Welt ist im und für den Einzelnen nicht (mehr!) beherrsch- und kontrollierbar. Stattdessen werden digitale Mächte konfiguriert, die über die Geschicke des Menschen bestimmen. – Ist die Künstliche Intelligenz der neue Gott in Gestalt von Google und Co.? Läuft der Mensch Gefahr, mit dem Digitalen die Herrschaft und Kontrolle übersich an die KI abzugeben?
Zugleich ist Digitales im Spirituellen zu entdecken. Nicht weit hergeholt zeigen sie sich in verschiedenen Ausdrucksformen. Die einfachste Form ist die Nutzung des Digitalen für spirituelle bzw. religiöse Zwecke. Die Zeit der Corona-Pandemie hat dem digitalen Gottesdienst eine breite Öffentlichkeit geschenkt. Viel interessanter ist, wenn Experten
der Künstlichen Intelligenz Emotionen (Gefühle) digitalisieren. Ist das der Einstieg für eine Digitalisierung des Spirituellen? Noch aufregender sind mit Erfolg geführte Experimente, Verstorbene in eine digitale Lebenswelt zu holen, wenn Lebende und Tote miteinander kommunizieren wollen. M. Riesewieck und H. Block berichten in ihrem Buch „Die digitale Seele“ (Goldmann Verlag 2020) in eindrucksvoller Weise, wie eine südkoreanische Mutter mit ihrer verstorbenen Tochter digital in Kontakt trat.
Das Zusammenspiel von Spirituellem und Digitalem ist ein unerschöpflicher Türöffner zukünftigen Lebens. Dabei sollten wir wissen, dass – wie jede Techniknutzung – diese Entwicklung auch eine Lichtund Schattenseite hat. Jeder technische Fortschritt birgt in sich Chancen und Risiken für Anwendungen. Sich diesen Möglichkeiten und Grenzen bewusst zu sein, ist die alltägliche Herausforderung, das Spirituelle und Digitale im menschlichen Lebensalltag zu nutzen.
Hans-Jürgen Stöhr Rostocker Philosophische Praxis
Albert Einstein
Wie kann hier das Philosophieren zum Verstehen von Spiritualität und Digitalisierung unseres Lebens sinnstiftend und gewinnend beitragen?
Wir machen uns Gedanken über Spirituelles und Spiritualität, über Digitales, Digitalisierung und Digitalität. Wir kennen diese Begriffe – doch welchen Inhalt geben wir ihnen? Wir brauchen nach Möglichkeit…
Was war, was ist, was wird sein?
Auch in der Pflege und Betreuung hat die Digitalisierung keine Bogen gemacht. Vor ca. 30 Jahren begann der Umbruch vom Analogen zum Digitalen. Die Einführung einer digitalen Planung, Organisation und Dokumentation war…